Freitag, 10. Februar 2012

Mutter, Vater, M600!


Mitten im Herzen von England liegt Leicester. Eine verträumte und ruhige Stadt mit ca. 450 000 Einwohnern in der die Welt noch in Ordnung zu sein scheint und das Leben immer weiter dem gleichen, ruhigen und geregelten Gang folgt. Die zwei Universitäten zeugen von Wohlstand und Bildung. Es gibt keine Integrationsprobleme bei einer Migrationshintergrund-quote von nahezu 50%. Schlendert man durch die Fußgängerzone wird man mit jedem Zentimeter permanent an Königin Victoria erinnert. Alles in allem also eine etwas langweilige dem englischen Stereotypen entsprechende Bilderbuchstadt, deren wahrscheinlich größtes Problem die momentane Zweitklassigkeit ihrer Fußballmannschaft ist.

Leicester - view from Welford Place
Leicester in voller Pracht!
von esther

Sollte man als nichtanglophiler Leicester also schleunigst wieder vergessen? Auf gar keinen Fall, denn im Randbezirk, so weit draußen dass sich kein Rentner mit missbilligendem Gesichtsausdruck und wild geschwungenem Gehstock dorthin verirren könnte, sitzt eine der aufregendsten Automobilmanufakturen der Welt: Noble Automotive! Der Grund warum Noble in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte ist kurz und prägnant: M600!

Noble M600

Der M600 ist nicht mehr und nicht weniger als ein Supersportwagen. Nun stellt sich die berechtigte Frage ob man noch einen weiteren Supersportwagen neben all den Aventadors, GT-Rs, Veyrons, MP4-12Cs und LFAs braucht. Die vorhersehbare Antwort lautet natürlich ja. Doch interessanter Weise sind es nicht die technischen Aspekte die den M600 zur Existenz berechtigen, obwohl diese unzweifelhaft beeindruckend sind und ihren Teil dazu beitragen. Dank eines von Yamaha für Volvo entwickelten Motors, und unter Zuhilfenahme von Turboladern, treiben 650 PS den Noble über den Asphalt. Wird dieser Wert in Zusammenspiel mit den 1275 kg des Nobles betrachtet, kann man die angegebenen 3,0 Sekunden für den Standardsprint von 0-100 km/h als absolut realistischen Wert nachvollziehen. Hinsichtlich des Leistungsgewichts befindet man sich nahe den Bereichen in denen der Bugatti Veyron zu verkehren pflegen - und das ist verdammt spektakulär.

Seine wahre Faszination erlangt der M600 aber durch anderen Faktoren. Gebaut wird der M600 von einem im Vergleich zu McLaren, Nissan oder Ferrari astronomisch winzigen Team von sage und schreibe 15 Leuten. Wichtigste Einstellungsvoraussetzung, neben der fachlichen Eignung, ist die pure Liebe und Leidenschaft für Autos und Autofahren und das Streben nach der Vollendung des perfekten Fahrgefühls. Gerade aufgrund dieser Liebe des Teams zur eigenen Kreation meint man den Noble atmen zu spüren.  Wenn man eine der wenigen Gelegenheiten am Schopf packen konnte und in einem Noble Platz nehmen durfte lassen sich trotz der für einen Supersportwagens typischen Äußerlichkeiten in jeder noch so perfekten Naht Liebe und individuelle Hingabe erkennen. Wo beim McLaren technische Präzision und nichts als kühle Berechnung vorzuherrschen scheint, bekommt man beim M600, sobald man das Lenkrad in die Hand genommen hat, das warme Gefühl zu Hause zu sein, das Gefühl der Freude des Moments in seiner Stammkneipe in der sich alle zur Tür umdrehen und einen lautstark willkommen heißen sobald man die Schwelle übertritt oder man fühlt sich schlicht und einfach in den Mutterleib zurückversetzt. Unstreitig sind Mütterleiber wohl als komfortabel anzusehen, aber der M600 ist nicht gerade das Komfortabelste was man sich vorstellen könnte und zudem sind in Gebärmüttern bisher in ganz wenigen Fällen Karbon gesichtet worden. Wieso also dieser Vergleich?


Home, sweet home! Noble M600
Sobald der Fahrer die Tür geschlossen hat entsteht eine Symbiose zwischen Fahrer und Auto die wahrscheinlich im Supersportwagensegment seinesgleichen sucht. In keinem Auto ist der Fahrer näher an der archaischen Vorstellung des Fahrens dran als hier. Nirgendwo ist der Fahrer ab Werk mit der Geschwindigkeit und dem Fahren mehr eins als im Noble. Kein Computer, in diesem Fall ist der Hang zu britischem Traditionalismus und die Abkehr von allem vom kontinentalen Europa stammenden modernen (wie eben besagten Computer) ein Segen, greift in die Beziehung zum Auto ein. Keine Fahrassistenzsysteme (außer Traktionskontrolle) verschleiern die Leistung des Fahrers. Das Gebilde „Fahrer/Auto“ gleicht demnach 1:1 der Kombination „Fötus/Mutter in spe“. Ein wesentlich kleineres Etwas lenkt durch seine Aktionen und Bedürfnisse ein größeres Objekt, in dessen Innenleben er sich komplett aufgenommen befindet. Das größere Objekt wiederum ist ohne jegliche Kontrollfunktionen und lässt sich in keiner Weise durch ein anderes Organ bzw. Computer bzw. Hirn beeinflussen. Befindet sich das größere Ding nicht in einer akut merkwürdigen Stimmung oder Lage, kann man sich als Fötus beruhigt auf die Schulter klopfen in der Gewissheit alles richtig getan zu haben und sein Mutterschiff nicht gegen den nächsten Baum oder Türrahmen gelenkt zu haben.

Möchte man sich lieber als werdender Vater, anstatt als Fötus, vorstellen, so ist die natürlich auch absolut im Bereich einer möglichen Analogie. Beides, Auto und Mutter, müssen mit ruhiger Hand in absurder Geschwindigkeit durch ein „Minenfeld“, sei es Schwangerschaft oder Strecke, mit allerlei Hindernissen und Unebenheiten geführt werden. Gelingt dies wird man belohnt. Leben und Adrenalin oder Kind…

Profil des M600
Doch was für ein Fazit kann man nun ziehen? Handelt es sich bei dem Noble M600 um ein Auto das lediglich für Sentimentalitätsfanatiker, vermeintliche Frauenversteher (Jedes Mitglied des Karrenkultteams möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass er ein exzellenter Zuhörer und Gentleman ist!), Adrenalinjunkies oder doch etwa für werdende Eltern geeignet ist? 

Zwei Merkmale könnten an diesem Punkt zu Klärung dieser wichtigen Frage Hilfe leisten. Beide befinden sich in unmittelbarer Nähe zur Gangschaltung. Einer davor, einer dahinter. Hinter der Gangschaltung direkt unter der Klimaanlage, für manche Menschen ist die genaue Lage wichtig und diesen wollen wir gerecht werden, befindet sich die Möglichkeit einen von drei Fahrtenmodi, Road, Track oder Race zu aktivieren. Nichts Besonderes denn BMW hat das auch? Doch, denn zwischen Road und Race liegen 200 PS Unterschied. Vor der Gangschaltung liegt die Traktionskontrolle. Angelehnt wurde das System an das Abschusssystem eines Kampfjets. Um die Traktionskontrolle zu deaktivieren muss man demnach eine Sicherheitsklappe hochziehen und dann auf einen Knopf drücken. Was daran toll ist? Gegenfrage: Gibt es was Besseres als Kampfjets und der Möglichkeit auf Knopfdruck die Apokalypse auf die Straße niederkommen zu lassen? 

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